Ein gutes Leben für alle!
KVW Jahresthema für das Arbeitsjahr 2024 - 2025
Der Ausgangspunkt
Die aktuelle Zeit bringt einiges an Herausforderungen mit sich. Das AFI spricht in diesem Zusammenhang von den vier D’s: Dekarbonisierung, Demografie, Digitalisierung und Demokratie. Demnach müssen wir den Ausstieg von der Verbrennung von Erdöl etc. schaffen, weil wir den Bogen in Sachen Umwelt mit unserer Lebensweise und dem aktuellen Wirtschaftssystem mehr als überspannt haben. Wir kämpfen aber auch mit der Überalterung unserer Gesellschaften und das besonders in Italien. Die aktuelle Situation am Arbeitsmarkt gibt einen Vorgeschmack darauf, was dies zukünftig bedeuten kann, wenn wir kaum mehr Fachkräfte z.B. für Pflegeeinrichtungen finden. Die Digitalisierung aller Lebensbereiche schreitet mit enormem Tempo voran und daran leiden nicht nur die älteren Menschen. Und wen wundert es, dass bei diesen Problemlagen und der Art und Weise, wie sie medial aufbereitet werden, die Menschen verunsichert sind. Verunsicherung und Angst verführen wiederum einige zum Wunsch nach einer klaren Führungspersönlichkeit, die uns die Probleme abnimmt, selbst wenn das unrealistisch ist. Das und noch einiges mehr sind wiederum Herausforderungen für unsere Demokratie, die es zu schützen gilt.
Auf einer hintergründigen Ebene ansetzen
Während viele Akteur:innen zurecht versuchen, die einzelnen Problemlagen pragmatisch anzugehen und eine große Hoffnung z.B. auf technische Detaillösungen setzen, hat der KVW ab dem kommenden Herbst mit dem neuen Jahresthema einen ergänzenden Zugang gewählt: Wir setzen eine Ebene hintergründiger an und fragen uns, was macht für uns ein GUTES LEBEN aus? Letztlich steht die Frage im Hintergrund: Warum das Ganze? Was lässt mich in der Früh gerne aufstehen und wie viel Zeit verwende ich im Alltag, um mich den mir wichtigen Dingen zu widmen? Im Kern geht es um den Titel unserer Verbandszeitschrift: Wir richten den Kompass neu aus, orientieren uns und fragen, ob wir als Gesellschaft und als Einzelne überhaupt am richtigen Weg sind und falls nicht, was denn das Ziel ist, wo wir hinwollen.
Träumerei jenseits des Konkreten?
Man könnte einwenden, dass dies nutzloses Denken sei, eine Träumerei, die unkonkret bleibt. Dem würden wir entgegenhalten, dass wir zuerst ein klares inneres Bild davon brauchen, wo wir hinwollen, bevor wir uns wirklich auf den Weg machen können. Und genau daran mangelt es aktuell in der Gesellschaft: Wir verlieren uns im Kleinklein des Alltags mit einer Reihe von Detaildiskussionen. Der Überblick kommt mitunter abhanden. Gerade in so genannten Krisenzeiten – also in Phasen der Unsicherheit, wie wir die anstehenden Probleme lösen sollen, weil wir uns in mehreren Dillemmata befinden – braucht es eine größere Klarheit für die Grundausrichtung, der eine Phase der Orientierung vorausgeht. Wenn wir einmal wissen, wo wir hin- und welche Ziele wir erreichen wollen, dann können wir uns auch auf den Weg machen und sinnvoll aktiv werden. Genau dazu dient das Jahresthema, mit dem wir uns die nächsten beiden Jahre beschäftigen werden.
Krisen – kein „Privileg“ unserer Zeit
Wenn heute von Krisen die Rede ist, dann darf nicht vergessen werden, dass wir als Gesellschaft auch in den letzten Jahrzehnten schon einiges gemeistert haben und diese Herausforderungen haben es auch in sich gehabt. Die aktuellen Probleme sind unsere, es ist aber kein „Privileg“ unserer Zeit, Krisen meistern zu müssen. Jede Generation hat ihre Aufgabe. Wir haben viele gute Voraussetzungen, um menschenwürdige Lösungen zu finden, die ökologisch verträglich, sozial gerecht und ökonomisch tragbar sind. Daher ist es sehr gerechtfertigt, sich über die Frage Gedanken zu machen, was für uns ein GUTES LEBEN ist und wie es so gestaltet werden kann, dass es möglichst ALLEN gutgeht.
Text: Charly Brunner, Geistlicher Assistent des KVW
Gedanken zum Jahresthema 2024 vom Landesvorsitzenden Werner Steiner
Wie oft haben wir gehört, dass dieser große Einschnitt uns zu einem bewussteren Leben und einem verantwortungsvolleren Umgang mit unseren Ressourcen führen wird. Aber was ist in Wirklichkeit passiert? Kaum hatten wir uns ein wenig erholt, drehte sich das Rad der Geschichte noch schneller. Wir leben, als gäbe es kein Morgen. Das stimmt uns als Sozialverband nachdenklich, haben wir doch immer versucht, den Menschen einen bewussten Umgang mit unseren Ressourcen aufzuzeigen. In mühevoller Kleinarbeit haben wir in unseren vergangenen Jahresthemen immer wieder auf die Grundprinzipien der christlichen Soziallehre hingewiesen: Solidarität, Subsidiarität, Menschlichkeit und Gemeinwohl. Alle diese Begriffe sollen unseren Ehrenamtlichen bei ihrer Arbeit in den Ortsgruppen als Wegweiser dienen und unsere Mitglieder durch praktisches Tun für eine Mitgliedschaft in unserem Verband gewinnen.
Umso mehr wollen wir im nächsten Jahr an der Sensibilisierung für „Ein gutes Leben für alle“ arbeiten. Das Thema ist vielschichtig, denn jeder Mensch hat eine andere Vorstellung davon. Als KVW orientieren wir uns an christlichen Werten und möchten in den im Herbst anstehenden Gebietstagungen eine Auseinandersetzung zum Thema anregen.
Unsere Gesellschaft wird zunehmend von einer neoliberalen Lebenseinstellung geprägt. Diese zeichnet sich durch einen ausgeprägten Individualismus aus. Demnach ist ein gutes Leben das Ergebnis meiner Selbstverwirklichung. Jeder ist seines Glückes Schmied und somit für seinen Erfolg selbst verantwortlich. Diese Freiheit steht mir zu und kann auch auf Kosten Schwächerer verwirklicht werden. Als KVW setzen wir uns nach dem Subsidiaritätsprinzip für Menschen in Not ein und bieten Hilfe und Beratung in den verschiedensten Bereichen an. Dabei haben wir Angebote auf hauptamtlicher wie auch über unsere mehr als 200 Ortsgruppen auch auf ehrenamtlicher Seite. Gerade die dezentralen Angebote unserer Ortsgruppen sind eine große Bereicherung für unsere Gesellschaft: Die Ausschüsse der Ortsgruppen kennen die Bedürfnisse vor Ort am besten und können schnell und unkompliziert Hilfe anbieten.
Nach neoliberalem Verständnis ist materieller Wohlstand der Schlüssel zu einem guten Leben. Dieser Wohlstand ist gesellschaftlich anerkannt und kann auch gezeigt werden. Viele Menschen orientieren sich daran und es entsteht ein endloser Kreislauf: Materielle Werte anhäufen und vermehren, dann ist man ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft. Nicht-materielle Werte treten in den Hintergrund und werden oft als Versagen dargestellt. Wer nach außen nichts vorweisen kann, hat es nicht geschafft. Dabei wird allzu leicht vergessen, dass nicht alle Menschen die gleichen Zugangschancen haben. Allzu leicht wird darauf verwiesen, dass mit persönlicher Anstrengung alle Ziele erreicht werden können. Nicht alle Menschen haben die gleichen Voraussetzungen und Ressourcen. Darauf wollen wir in diesem Jahr besonders hinweisen und diesen Aspekt unserer Gesellschaft in der Arbeit in den Ortsgruppen beleuchten. Jeder Mensch ist wertvoll und gerade wir als Mitglieder des KVW wollen uns für alle Mitbürgerinnen und Mitbürger gleichermaßen einsetzen.
Neoliberale Lebensmodelle orientieren sich an meinem persönlichen Nutzen. Die Frage: „Welchen materiellen Vorteil habe ich davon?“ ist auch in unseren Reihen immer öfter zu hören. Die Frage nach einer Mitverantwortung für die Gemeinschaft, nach einer Orientierung am Gemeinwohl tritt dabei oft in den Hintergrund. Umso wichtiger ist es, dass wir als Sozialverband korrigierend eingreifen und deutlich machen, dass freiwilliger Einsatz für die Gemeinschaft auch Teil eines guten Lebens sein kann.
In diesem Sinne soll unser Jahresthema sensibilisieren und zum Nachdenken anregen. Der Einsatz für Solidarität, Subsidiarität und Gemeinwohl ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass wir auch in Zukunft "Ein gutes Leben für alle“ ermöglichen können. Wenn alle unsere Ehrenamtlichen und Mitglieder sich dessen bewusst werden und offene Ohren und Augen für die Nöte ihrer Mitmenschen haben, dann hat unser Jahresthema ein wichtiges Ziel erreicht. Es wäre ein großer Schritt in Richtung Menschlichkeit. Diese Mitmenschlichkeit ist uns allen gegeben, wir müssen sie nicht erst lernen: Empathie für den Mitmenschen haben wir in uns, wir müssen sie nur zulassen.
Text: Werner Steiner, Landesvorsitzender